"Kein Platz
für Frau Pastorin"
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Karin Kammann war früher ein
Mann, jetzt streitet sie um einen Kirchen-Job Von Stefan Krücken und Detlef
Schmalenberg |
Im Kölner Stadt-Anzeiger, - Nr. 51 - Dienstag, 2.
März 1999 - 3 und im KStA - Nr. 54 -
Freitag, 5. März 1999 - 11 |
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Zunächst wurden Kekse gereicht,
dann die Bergpredigt zitiert. "Macht euch keine Sorgen und fragt
nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir
anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater
weiß, daß ihr das alles braucht", heißt es in Matthäus 6, Vers 31
und 32. Wer gestern im Sitzungssaal eines Düsseldorfer
Medienzentrums saß, konnte zunächst den Eindruck gewinnen, er sei in
ein Kaffeekränzchen mit Gläubigen geraten. Doch der Anlaß für
das Zusammentreffen war weniger friedlich. Im Saal tagte das
Verwaltungsgericht der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die vier
Juristen und der Theologe am Richtertisch mußten über das berufliche
Schicksal der Kölner Pfarrerin Karin Kammann (39) entscheiden. Im
September 1993, fünf Jahre nach ihrer Geschlechtsumwandlung, wurde
sie ordiniert. Anfang 1995 erhielt sie einen Zeitvertrag bis zum
April 2000. Als verbeamtete Pastorin im Sonderdienst wurde sie
zunächst in Chorweiler eingesetzt. Sie hielt Gottesdienste in
Altenheimen ab und betreute die Gemeinde seelsorgerisch.
"Es ist beschämend"
Doch das darf sie schon
lange nicht mehr. Obwohl sie weiterhin ihr Gehalt bekommt, ist sie
seit Oktober 1996 ohne Beschäftigung. ..Ich will wieder was tun",
fordert Karin Kammann jetzt in ihrer Klage. Sie vermutet, daß die
"Kirchenoberen" mit ihrer "Geschlechtsumwandlung nicht mehr
klarkommen und mich deshalb kaltgestellt haben". Das stimme nicht,
entgegnete gestern ein Vertreter der Amtskirche: "Trotz
kontinuierlichen Suchens haben wir noch keine neue Stelle
gefunden." Das Gericht, das seine Entscheidung erst in den
kommenden Wochen veröffentlichen will, konnte sich mit dieser
Argumentation jedoch nicht anfreunden. Zunächst versuchte der
Vorsitzende Richter Rudolf Goez in freundlichem (aber erfolglosem)
Ton zu vermitteln: "gibt es wirklich keine Stelle? Überlegen Sie
noch mal!" Dann stellte er unmißverständlich klar: "Für Beamte gilt,
daß sie entsprechend ihrer Qualifikation beschäftigt werden müssen.
Das sollte auch in diesem Fall so sein. Es muß was gefunden werden!"
Auch Pfarrer Hans Mörtter von der Kölner Lutherkirche, der im
Zuschauerraum saß, hatte so seine Zweifel an der Darstellung der
Amtskirche. Es sei "beschämend, wie diese Frau behandelt wird",
flüsterte er. Dann meldete er sich zu Wort. In seiner Gemeinde werde
jemand wie Karin Kammann "dringend benötigt", sagte er und gab auch
noch zu Protokoll, daß das zuständige Presbyterium und der
Kreissynodalvorstand wohl zustimmen würden. Es sei grotesk, wenn
"diese hochqualifizierte Theologin nicht mehr in der Seelsorge
beschäftigt würde", ergänzte Pfarrerin Christine Breitbach von der
Kölner Christuskirche nach Prozeßende: "Wer zunächst als Mann, dann
als Frau gelebt hat, wer zahlreiche Höhen und Tiefen hinter sich
hat, der kann die Nöte anderer Menschen doch bestens verstehen."
Über ihr Coming-Out redet die derart Gelobte nur ungern. Daß
sie als Kind in Mutters Kleiderschrank stöberte, daß sie als Junge
nur mit Puppen spielte, erzählt sie nur auf Nachfrage. Und
analysiert wissen möchte sie es schon gar nicht:"Ach Gott", sagt sie
dann, "diese ganzen Klischee-Sachen bin ich so leid." Sie wolle
nicht in die Ecke der Exoten gestellt werden, nicht die Schablonen-
Transsexuelle sein, meint sie - und es sind einige der wenigen
Sätze, bei denen sich ihre Stimme hebt, die sonst so kontrolliert
und ruhig ist. Immer schon sei ihr bewußt gewesen, "daß etwas nicht
stimmt, daß da etwas arbeitet unter meiner Haut, etwas, das leben
will." Sie suchte Zuflucht im Glauben: "Die Theologie war mein
gnädiges Versteck." 1979, damals noch als Mann, begann sie mit dem
Studium er evangelischen Theologie in Wuppertal. Mit 26 Jahren
heiratet Herr Kammann sogar, zwei Jahre später entschließt er sich
zu Hormonbehandlung und Operation. Seine Frau, "der erste Mensch,
dem ich wirklich vertrauen konnte", unterstützt ihn in der
schwierigen Zeit. "Es ängstigt abgrundtief, erkennen zu müssen, daß
man anders ist.
Wenn man auswandern muß aus dem Land der
offensichtlichen Gegebenheiten und den Horizont noch lange nicht
erkennen kann", sagt sie heute. In ihrem Lebenslauf markiert eine
gestrichelte Trennlinie die neue Identität, darunter das Wort
"Umstieg". Im September 1986 besteht sie ihr erstes theologisches
Examen, Sie stellt den Antrag auf Einweisung ins Vikariat, das sie
erst nach zähen Verhandlungen |
und einer
Personenstandsänderung -aus Herrn wird Frau Kammann -dreieinhalb
Jahre später in Duisburg antreten kann. Nach der Ordination im
September 1993 gibt sie Rellgionsunterricht in einer Berufsschule.
Zwei Jahre später wird sie zur Pastorin im Sonderdienst der
Kirchengemeinde Neue Stadt Köln Chorweiler berufen. Als die
Beziehung

"ICH HABE meinen Preis gezahlt": Karin
Kammann. (Bilder: Worring)
mit ihrer Lebensgefährtin
zerbricht und ihr Vater stirbt, ist Kammann am Ende ihrer Kraft. Sie
wird einige Wochen krank geschrieben, als sie wieder in den Dienst
zurückkehrt, spürt sie, "daß ich da nicht groß werden kann. Die
wollen mich abschießen". Im Dezember beantragt das Presbyterium ihre
Entlassung aus dem kirchlichen Dienst. Die Begründung erhält die
Betroffene erst im März des darauffolgenden Jahres. Der Kölner
Superintendent Manfred Kock, heute Vorsitzender des Rats der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), schreibt: "Kompliziert
wird der Fall deshalb, weil es kaum greifbare konkrete
Fehlverhaltensweisen gibt, die Frau Kammann anzulasten sind. Es sind
vielmehr atmosphärische Probleme, Irritationen, die sie durch ihr
Auftreten in der Gemeinde auslöst." Von Kußhändchen, die sie werfe,
ist die Rede, von Problemen, die auf Mitarbeiter abgewälzt würden.
"Die haben sich etwas zusammengeklaubt', sagt Kammann. "Die haben
Gründe gesucht, um mich loszuwerden." Fachliche Vorwürfe habe es
nicht gegeben. "Persönlich habe ich den Eindruck, daß Frau Kammann (
... ) hochbegabt ist", heißt es in dem Schreiben, das der "Kölner
Stadt-Anzeiger" aus Kirchenkreisen erhalten hat. Karin Kammann wird
in einen Sonderdienst der Landeskirche versetzt, auf eine "ominöse
Stelle", wie sie sagt. "Werden sie doch Altenpflegerin", sei ihr
geraten worden. Von Februar bis Oktober 1996 macht sie eine
journalistische Zusatzausbildung. Eine Perspektive eröffnet sich für
die verstoßene Tochter dennoch nicht: Es gibt noch immer keine neue
Dienstanweisung. Die evangelische Kirche schiebt Karin Kammann aufs
Abstellgleis, bei vollen Bezügen: geduldet, aber nicht respektiert.
Nicht das Feld räumen
"lch möchte sichtbar
sein. "Karin Kammann geht an die Öffentlichkeit. Sie will, daß die
Kirche Position bezieht. So oder so. "Die sollen sich endlich klar
zu mir verhalten." Sie möchte Teil der Kirche sein, auch wenn sie
fühlt, daß die Institution mit dem Finger auf sie zeigt, daß sie von
ihr keine Unterstützung bekommt. Daß sie ein "statisches Gebilde
ist, ein Gebilde, das womöglich Angst hat, von der Diskussion um
eine transsexuelle Pastorin erschüttert zu werden. Die Frau, die
über das Verhältnis der Geschlechter philosophiert ("das wird das
Thema des kommenden Jahrtausends"), will nicht einfach so das Feld
räumen. "Ich möchte mich mit meiner Geschichte nicht so einfach von
dieser Kirche verabschieden", sagte sie: "Ich habe lange genug
gewartet und meinen Preis bezahlt." Sie sei nicht bereit, sich "bei
jeder neuen Warteschlange wieder anzustellen". Sie möchte wieder
predigen, weil sie was zu sagen habe. Und das auch über den April
des kommenden Jahres hinaus, wenn ihr Zeitvertrag ausläuft. |
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