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Jenseits der Geschlechtergrenzen
Queer Studies
12. Dezember 2001
Uni Hamburg Karin Kammann

Prälogommena
oder: warum ein Vortrag solcher Art in einer Reihe hochwissenschaftlicher Abhandlungen dennoch seinen Platz gefunden hat.

Überschrieben mit

Gender Identity Zero - Über die vornehme Art, auf geschlechtliche Definitionen zu verzichten.

möchte ich vorab folgendes klarstellen:

- Ich werde auf Fuss-, nicht aber auf Kopfnoten verzichten. Mitdenken, Wünschen Fühlen zum Thema Geschlecht ist ausdrücklich gestattet. Die Problemzonentraining bei Geschlechterfragen beginnt meist zwischen den Ohren und wandert dann tiefer. Meinetwegen ...

- Ich rede nicht aus der wissenschaftlichen Forschung heraus, sondern bin mir selber Objekt und Subjekt zugleich. Als konvertierter Mensch bin ich mal Opfer mal Täter meiner selbst. In dieser Dialektik zu verbleiben, ist mir wichtig. Es gibt noch keine Sprache, die konvertierte Menschen ihre Subjekthaftigkeit, ihre eigene Sprachmächtigkeit und Fähigkeit wieder gibt.

- Ich bemühe mich daher einer Versicherung solcherart, dass ich mein Geschlecht - in welchen Variationen auch immer - ausführen werde. Das ist die Art nicht wissenschaftlicher Ausführung, die mir behagt, da ich hoffe, sie auch hier beheimaten zu können. Geschlecht kann man ausführen oder auch in Urlaub schicken. Dabei möchte ich etwas genauer hinschauen und ausprobieren, was geht und was Spaß macht. Echo findet.

- Ja es stimmt: ich habe Theologie studiert, bin examiniert unter männlichem Prärogative, ordiniert unter weiblicher Persona als Pastorin der Ev. Kirche. Daher rede ich - theolgisch gesprochen: sub utraque specie. In beiderlei Gestalt. Seit April 200 bin ich nicht mehr für die Kirche tätig, - aus verschiedenen Gründen. Ich kann mich aber noch Pastorin i.S. nennen, wobei i.S eher "in Sünde" als "in Sicherheit" bedeutet..

- Der Begriff der Konversionsagentin ist nicht zufällig gewählt. Konversion dient mir dabei als eine heuristisch hermeneutische Kategorie, die am eigenen Leib getragen und mit Alltagserfahrung verfüllt wird. Oftmals habe ich mich als Katalysator bei mir nahe stehenden oder geliebten Menschen gefühlt. Keiner von denen ist ohne Veränderung von mir gegangen.

- Else Lasker Schüler ist mir ein Vorbild. Einmal hat sie Vertreibung erlebt und partizipiert als Prinz von Theben auch an wundersamen Verwandlungen. Sie schrieb: Es kann doch nicht alle Tage dasselbe außer mir passieren. Dem ist nichts weiter hinzufügen.

OUVERTÜRE

Zum gefälligen Ausweis.
Auf die Frage wer ich bin, kommt meinst eine stille Gegenfrage:
Wer will das wissen. Wem ist das wichtig. Gibt es Antworten und wenn ja, auch fertige. Das wäre schön, so Fertigantworten - instant messages zur Identität zu haben. Allein ich habe sie nicht.
Ich will es mal versuchen.


Ich bin also ... Karin Kammann.
Das war ich nicht immer. Ich bin Karin geworden.
Damit bin ich eine gemachte Frau - sozusagen.

Was sagt das aus:
1) Man kann Vornamen wechseln.
2) Vornamenwechsel sind in Deutschland weitaus schwieriger
als der Wechsel des Nachnamens. Letzterer vollzieht sich durch Heirat.
3) Wechsel sollten bejaht und wo nötig auch bezahlt werden.
4) Im Vornamen hat das Geschlecht ausweisbar zu sein.
5) Die Frage ist berechtigt: war ich immer eine Frau, die sich jetzt nur entpuppt hat? Und wenn ich das nicht war, was war ich dann? Was bin ich jetzt ?
6) In Europa lernen wir nach den Ursprüngen zu fragen. Ohne Ursprung kein Sein. Daher fragen mich alle: Wie hast du früher geheißen. Als ob das für mich jetzt wichtig wäre. Ich halte folgende Frage für ebenso berechtigt: Wie werden ich morgen heißen ?
7) Wir lernen: Geschlecht ist eine offene Kategorie, veränderbar

2) Ozzilato allegretto

Wie wurde ich zu Karin ? Eine kleine Geschichte von deutscher Gründlichkeit:
Man schrieb das Jahr 1988 und unsere Geschichte beginnt im Wuppertal. Die Schwebebahn quietschte und schaukelte noch, als ich den Waggon verließ. In meinen Händen die Nachricht über eine Postzustellungsurkunde der Amtsgerichtes Düsseldorf. Vor zwei Jahren hatte ein junger schüchterner Mann das erste theologische Examen beim Landeskirchenamt in Düsseldorf abgelegt. Und nun lief ich die Treppen herunter und schaute selbstkritisch in die Schaufenster. Ein Blick, den ich seit Monaten ein geübt habe. Immer wieder sich selber suchen und kontrollieren. Sitz der Rock, keine Unsicherheiten im Gang und vor allem: war nach außen nichts spürbar?

Man hatte es satt, auf der Strasse angepöbelt zu werden. "Ey biste Mann oder Frau?" "Was ist daaas denn? Kommt mal rüber... " Ich konnte sie schon von weiten kommen sehen und es gab zugleich keine Möglichkeit, ihnen zu entkommen. Man musste durchkommen. Und wieder begann der Refrain. Ich war es gründlich leid. Passing - so erfuhr ich später, wurde diese Übung genannt und sie diente der Leib- und Lebensertüchtigung von sog. Personen mit differierender Geschlechtszugehörigkeit.

Der Weg zur Post war nicht weit, ein paar Schritte am Operhaus vorbei und schon stand ich in der Schalterhalle. Postzustellungsurkunde des Amtsgerichtes Düsseldorf. Meine neue Identität wurde mir per Post zugestellt - amtlich veranlasst und nur unter Vorlage des Personalausweises abzuholen. Nicht, dass jemand anderes sich heimlich und ohne mein Wissen mein Geschlecht abholen könnte. Oder es irgendwie in den vielen Fächern der Postverteilstelle versehntlich falsch zugestellt würde. Nicht auszudenken.

Die Sonne schien und brach sich an den trüben Milchglasscheiben der Hauptpost. Geschäftiges Treiben und wie immer muss man sich hinten anstellen. Das war auch eine der Übungen, die ich jetzt lernen musste. Sich immer hinten anzustellen, sich niemals vorzudrängen. Kollegen und Kolleginnen aus dem Studium waren schon längst in sichere Pfarrämter berufen. Wechselten wohl auch ihre Identität, wurden Mütter, Väter und Pfarrhausverweser, Pfarrstellenverwalter und Wort Gottes Exegeten. Kurzum: Sonntägliche Kanzelkletterer. Ich kann mich aber trotzdem nicht erinnern, von Ihnen jemals gehört zu haben, dass dies alles über Nacht oder am helllichten Tag via Postzustellungsurkunde geschehen sei. Nun gut, dachte ich mir. Immerhin etwas, was ich Ihnen jetzt voraus hatte.

Ich legte die Benachrichtigung über die Zustellung einer Urkunde des Amtsgerichtes sowie meinen gültigen Personalausweis der freundlich lächelnden Schalterbeamtin vor. Diese holte das Schriftstück aus dem Schrank und prüfte eingehend die ihr vorliegenden Dokumente. Es gab - wie so oft - Schwierigkeiten. "Bitte" sagte sie mit wohl meinendem Lächeln - "ich brauche nicht den Ausweis Ihres Mannes, Frau Kammann. Haben sie nicht Ihren eigenen Ausweis zur Hand?" Ich schluckte. Und überlegte kurz. War ich etwa verheiratet worden, ohne es mitbekommen? Unmöglich. Davon müsste ich doch wissen. Meine letzte Scheidung war schon lange durch und dort war ich nicht mit einem Mann verheiratet.

"Entschuldigung" - sagte ich. "Aber ich bin nicht mehr verheiratet." "Ist mir auch egal, was sie sind!" sagte die Schalterbeamtin und ich ahnte, dass dies ein Schlüsselsatz für mein weiteres Leben werden konnte. "Ich brauche Ihren gültigen Personalausweis, sonst kann ich Ihnen das Schriftstück nicht zustellen." Jetzt ahnte ich das Dilemma. Tatsächlich, auf dem Umschlag und der Benachrichtigung stand: An Frau Karin Kammann. Und drin war der Beschluss des Amtsgerichtes Düsseldorf, dass ich ab sofort Karin Kammann zu sein und zu heißen habe. Nun war in gute juristischer und deutscher Gründlichkeit das Urteil sofort in Kraft gesetzt und entsprechend verpackt worden. D.h. der Rechtsnachweis Karin Kammann zu sein, wurde korrekt auch an Karin Kammann zugestellt. Nur - diese gab es ja noch gar nicht außerhalb dieser Urkunde.

Sie sehen, es ist nicht einfach, Geschlecht per Post zuzustellen. Zumal unsere Gesellschaft nicht daran gewohnt ist. Noch schwerer wird es dann, auszuweisen wer man denn selber ist, oder gar geworden ist.

3) VIVACE

Kehren wir daher zurück zu den Grunddaten:
Ich bin also Karin Kammann, 42 Jahre alt.
In Summa.
Karin alleine wäre jetzt 13 Jahre alt, wenn wir der Mathematik Glauben schenken dürfen. Also mitten in der Pubertät, was das Leben nicht gerade leichter macht. Karin ist - ich sagte ja schon: eine gemacht Frau - aber jetzt auch eine biographisch, asynchrone Erscheinung. Wer wechselt schon das Geschlecht mitten im Leben ? Fängt im Alten neu an. Und vor allem womit.

Kategorien stehen mir nicht zur Verfügung. Was schlimmer ist: es gibt auch oder keine Vorbilder. Woher auch.

Jede Sozialisation einer Frau vollzieht sich über Ihre Mutter. Eine solche hatte ich nicht, abgesehen von Else Lasker Schüler, die mir damals nahe kam in Ihren Gedichten und gelungenen Verrücktheiten als Prinz von Theben. Ein angefochtener Mensch, diese Else, kaum tauglich für den Alltag, aber doch wissend um Exil und jüdisch biblische Märchengeschichten. Sie wurde dort geboren, wo ich auch die Welt als Frau neu entdeckt habe. Im Wuppertal eben.

Ansonsten bleiben dunkle Erinnerungen. Romy Haag. Nächte am Sylvesterabend, die ich vor dem Fernsehen verbracht habe. Sendungen aus dem Alcazar in Paris. Es gab auch einen Priester, der sich um Gender Exilanten kümmerte - damals in Paris. Er wurde erschossen, wie mir eine Freundin vor ein paar Jahren mitteilte. Immerhin ein moderne Märtyrer. Wir lernen: sich auf das Thema Geschlecht wirklich einzulassen kann gefährlich werden.

Es gibt viele unerzählte Geschichten. Weit mehr als die, die wir kennen. Und die Geschichten, die wir kennen, taugen meist nicht. Exotin, Outlaw und Halbwelten. Andere Geschichten wurden nicht geschrieben. Heute noch finden wir ab und an späte Bruchstücke. Und Fragmente von Leben. Nicht alle haben überlebt.

Der erste Fall einer Geschlechter Konversion: Christina Jörgensen. Ein Soldat wird Frau. Dann die Tennislady Renee Richards. Zuletzt gesehen im Tross von Martina Navratilova. Und auch die vielen Ungenannten. Aber - Hand aufs Herz - als angehender Pastor und Theologe - wollte man so etwas werden? Eher nein.

Und so ganz wird man das Alte ja nicht los. Ich mache mir keine Illusionen.
Was nicht alle freut.

4) Distincio und Intentio

Ein Exkurs:
Im Englischen lernt man zu unterscheiden zwischen Sex and Gender. Sex meint das biologisch vor findbare Geschlecht, soweit es eindeutig zu identifizieren ist. Also das sog. Ärzte Aschenputtel Geschlecht. Die einen ins Kröpfchen die anderen aufs Töpfchen. Frau und Mann, Männlein und Weiblein - mein Gott Herr Doktor, sagen sie uns: was wird es bloß?


Antworten sind hier oder da erwünscht und die trockene Antwort von Walter Moers: Es ist ein Arschloch - bringt nicht nur den ersten Lacher, sondern auch eine gesunde Verzerrung unserer Gewohnheiten. Wir merken. Geschlecht hat sichtbar zu sein. Und zur Geburt wird man auf den Arsch geschlagen.


Dem weiter folgend und auf der anderen Seite Luce Irigary beiseite lassend - die Frau sein als das Geschlecht, das nicht eins ist begriff - kommen wir zunächst zum Begriff Gender, welches die soziale Geschlechtszuschreibung umschreibt und in Deutschen schwer zu übersetzen ist. Nehmen wir also alles, was zwischen den Determinanten "Arschloch" und "nicht eines sein" ist, zusammen und nennen es "Gender" . Ich bin großzügig damit. Man kann ja neuerdings offensichtlich nicht genug davon bekommen. Gender Studies, Gender Performance, Gender Bender ... alles ist ja Gender.

Also nennen wir ab jetzt Folgendes Gender: jede Inszenierung als Äusserung und Veräusserung von Geschlecht, dann kommen wir zum erworbenen angeeigneten von andern und sich selber angetanen und ausgeführten Geschlecht, wobei der Begriff Gender wiederum so schwammig wird, dass alle ihn im Mund haben wollen und doch niemand wirklich sich traut, darauf herum zu kauen.


Kurzum: Was ist, Sex ist klar. Meistens. Was aber dagegen Gender ist, ist weit weniger klar. Gender ist ein Begriff wie ein Mushroom. Wenn man es in den Mund tut, schäumt es auf, nimmt allen Raum und macht letztlich nach geraumer Zeit heftige Bauchschmerzen. Gender ist dann ein nicht näher determinierbares Gefühl von Unwohlsein. Eine kulturelles Unbehagen der Geschlechter, an Freuds Abhandlungen erinnernd.


Um dieses Unbehagen zu vermeiden oder zu fördern - die Absichten sind nicht so klar, wie es die Autorinnen meist aufgeben - werden in letzter Zeit tatsächlich unendlich viele Bücher zum Thema "Gender" produziert. Nach gerade eine Inflation von soft poppigen Mushrooms, ansehnlich verpackt. Oder intellektuell gesprochen: dekonstruktivistisch quellende Füllmengen.


Aber, um einen abgekauten Slogan zu bemühen: Das Schlimme daran ist, das Schlimme darin.

Tatsächlich bin ich versucht, dem allen an vieler Weisheit zu zu stimmen, es ist nur allzu richtig und damit wieder gefährlich falsch. Tatsächlich ist es wichtig, sich über Geschlecht und Gender Gedanken zu machen. Aber Gedanken machen, ist mir auch eine zu artifizielle Tugend, zu wenig praktisch, zu wenig lebenserfahrend. Ich habe nichts gegen Implantate, solange sich sich nicht zwischen die Ohren befinden.

Ich will mir aber nicht Gedanken über Gender machen, ich will "Gender" machen. Oder Geschlecht ausführen. Diese Art Ausführung bevorzuge ich, weil sie auch Geschlecht suspendieren, erübrigen oder auch nur: in Urlaub schicken kann.

Daher heißt mein Vortrag auch: Gender Identity Zero
Gender Identity Zero meint - den Raum frei zulassen, den unsere tägliche Erfahrung, unser täglicher Blick, unser Verhalten und alles in uns sofort mit Geschlecht besetzt. Dies geschieht unweigerlich in den ersten Bruchteilen von Sekunden, in denen ein Mensch wahrgenommen wird.

Gender Identity Zero meint dagegen - den Nullpunkt zu suchen, Ground Zero einer biploraren Geschlechterhierachie. Weder Mann sein können, noch Frau sein müssen. Sich der Verwertbarkeit - auch der literarischen - von Geschlechterkategorien zu entziehen und Orte aufzusuchen, die möglichst frei davon sind. Das bedingt auch: Eigene Verletzlichkeit wagen. Weder Mann noch Frau sein zu müssen, aber exakt zu sein. Die Sprache des Körpers wieder finden. Und überhaupt: Sprache zu finden, die taugt.
Ich halte das für dringender denn je.

5) Weitere Sprachübungen
In einer E Mail fand sich letztlich folgender Porno Spam:
Heißes Erscheinen. Ihr Kennwort ist gewesen für Zustimmung: quequed.
Klicken sie bitte hier um zu bestätigen. Diese Woche finden Sie sehr großes Mundgeschlecht. Riesige Geschlechtgruppe.
Und in einer weiteren:
Vorlagengeschlecht - Bauteilbereich. Wenn Sie extreme Pornographie mögen, haben sie das platzierende Recht gefunden. Dies ist was wir anbieten. Extremes Mundgeschlecht. Geschlecht im Wasser.
Man mag sich verwundert die Augen reiben. Und gut, wenn wir es bei den Augen belassen. Aber was ist hier geschehen? Was ist ein Mundgeschlecht und was ist Geschlecht im Wasser. Denken wir an Aliens oder Star Trek ? Was passiert mit uns selber, wenn wir das Wort Geschlecht de-plazieren?
Ein Lachen ?
Eine Verlegenheit ?
Unsicherheit gar - halt, es gibt kein Mundgeschlecht. Es gibt männliches und weibliches Geschlecht, aber doch kein Mundgeschlecht. Wer hat das gedacht? Hier und jetzt ?

Was passiert eigentlich, wenn Geschlecht eine Eigenschaft wird. Handelbare Ware. Fragen die meines Erachtens berechtigt sind. Denn zu einfach wäre es, die Welt wieder in Ordnung bringen zu lassen mit der aufklärerischen Antwort und Versicherung:

"Mundgeschlecht" ist nichts weiter als das Ergebnis einer automatisierten Internet Übersetzung von Oral Sex. "Geschlecht im Wasser" ist keine Fötenausbildung in Gendertraining, sondern schlicht hardcore Liebesspiele mit Poseidons Unterstützung. Eben Sex in the water.

Wir merken, alleine wo wir zwei geschlechter wieder setzen und erkennen können, Mann Frau und Sex dazwischen, rückt uns die Welt in Ordnung. Wir brauchen kein Mundgeschlecht und kein Geschlecht im Wasser. Wir brauchen, um uns orientieren zu können, ein binäres Geschlechtersystem. Pappa Mamma Sex - als Lebens und Liebeselexier. Obwohl die Irritation mir durchaus willkommen ist. Denn wer sagt uns, dass es kein Mundgeschlecht gibt?
Bitte, wer ...

6) Doppelbelichtungen


Wie ist es nun mit einer, die doppel belichtet ist.
Nicht nur mit Sex und Gender - wie wir alle angeblich auch, sondern auch mit männlich und weiblich. Denn beides trage ich in und an mir und ich schimpfe einen Lump, der da behauptet, es wäre einfach zu konvertieren zwischen den Geschlechtern. Als könne man bei Rush Hour den Highway kreuzen in einer lässigen Geste.

Lassen Sie mich dazu eine Geschichte erzählen.
Es war in Köln, als ich ihn zum ersten Mal traf. Im Schulz, dem Schwulen und Lesbenzentrum war sein Vortrag für 20 Uhr angekündigt. Schon lange wollte ich ihn kennen lernen, seit diesem ersten Film vor Jahren, gedreht von einem deutschen Regisseur. Der Titel erschien merkwürdig geklöppelt: Vor Transsexuellen wird gewarnt.

Im Internet fand ich seine Homepage und ein Foto. Nun hier im Café, zwischen Cappuccino und Freundinnen, eine Stunde vor seinem Vortag, zwischen Sex und Gender traf ich ihn. Die Zeit stand einen Moment lang still. Das Klirren der Tassen verschwand. Das Geschnatter rings herum verstummte. Da waren nur wir und das Aufblitzen eines Erkennen in den Augen. Ein Echo, was ich so lange ersehnt hatte. Er kam näher, umarmte mich ohne Worte. Wir verblieben einen unvergesslichen kurzen Moment. Er fragte nicht: wer bist du ? Wozu auch?

Während des Vortrags erzählte er von früher. Stonewall. Diese schäbigen Bar in Greenwich Village. Erzählte von jenem Aufstand, der zur Gründung des Gay Movements geführt hätte und auch sein Leben verändern sollte. Still holte er dann einen Zeitungsbericht aus seiner Aktentasche. Er setze sich die Brille auf. Und las.

"Im Polizeiquartier in der Housten Street wurden die verwundeten Polizisten notdürftig versorgt. Die Beamten zählten 65 schwere Kopfverletzungen."

Er blickte hoch. "Wisst ihr was das war?" Nach einem Moment Schweigen kam sein erstes deutsches Wort: "Stöckelschuhe". Und der Nachsatz: "Definitly - Stonewall was a gender riot".

Was ich lernte an diesem Tag war einfach. Es langt nicht die Welt in männlich und weiblich einzuteilen. Es langt erst recht nicht, sie in homo und hetero zu unterteilen.

Es geht darum, unsere eigene Geschichte wieder zu finden. Zwischen all den anderen. Und den Mut zu haben, sie zu erzählen. Sprache in Taten zu gießen und umgekehrt.

7) Leibliche Konnotationen.

Zurück zur Geschlechter Konversion und Desertationen in der deutschen Gesellschaft, die schwerlich ohne Stöckelschuhe auskommt, wenn auch nicht an den Köpfen von Ordnungshütern.
Oder anders gefragt:
Wie wird man nun Frau ? Oder wie wird man Mann? Welche Bauanleitung kann man aus dem Internet ziehen ? Welche Tipps gibt es zum Passing, zum unauffälligen Durchgehen im Alltag ? Nun -vorab kann ich für mich mit Folgendes aufwarten: Ich bin keine Frau. Aber nur, wenn ich ehrlich bin. Und genau das wollte ich ja sein.
Auch wenn es sie jetzt überraschen sollte - ich bin exakt gesagt: "dem weiblichen Geschlecht zugehörig angesehen". So steht es im Gesetztestext und so hat es Berechtigung. Was nichts anderes besagt, als dass im Jahre 1987 fünf psychiatrische Gutachten über mich mit positivem Befund angefertigt wurden. Sie alle kann ich verwenden, um zu behaupten, immer schon Frau gewesen zu sein. Alle Gutachten wurden von Männern erstellt.

Aber als "zugehörig angesehen" bin ich keine Frau. Das verhält sich wie mit Paulus, dem Apostel, der Jesus selber nicht gesehen hat und doch ein Apostel ist und sein will. In unserer Sprache könnte man sagen: Paulus ist ein Trans Apostel. Er ist einfach später dazugekommen. Wie ich auch.

Also halten wir fest: Ich bin keine Frau. Ich bin auch kein Mann. Als Ausnahme habe ich nicht die Regel. Ich menstruiere nicht. Damit bin ich nicht groß geworden. Die Standardreaktion vieler Frauen ist: sei froh darum. Und ich frage: froh um was. Um etwas, was ich nicht habe ? Warum solle ich darum froh sein ?

Zugegeben, es macht Irritationen. Beim Michigan Music Festival 1999 wurden zum erst Mal Frauen ausgesperrt, die nicht als Frauen geboren sind. Ich frage mich, wie man das festgestellt hat. Sollten auch wir zusätzliche Menstruations-ausweise einführen ? Nur um sicher zu gehen, wen wir vor uns haben? Und wie hätten diese auszusehen? Oder solle man gar nur menstruierende Frauen auf Festivals zulassen. Wer gerade nicht menstruiert, fliegt raus. Das wäre was, aber wie bringt man die ganzen Binden und Tampons unter? Vor allem: Wie wäre das an den Kassen zu regeln ?

Vielleicht gibt es irgendwann mal Echtheitszertifikate für Frauen. Für solche, die immer schon Frauen waren. So wie bei BSE mit Verzeichnis der Herkunft. Bei mir würde dann drauf stehen: Achtung, diese Frau kommt aus verseuchter Landschaft und kann nicht ohne Gefahr genossen werden. Oder im Computerdeutsch: Attention, this woman has permanent fatal errors. Damit wäre ich einverstanden. Ich bin ja auch keine Freundin des harmlosen Flowersex. Oder zu deutsch übersetzt: kein Blümchengeschlecht.

8) Winke Winke ADAGIO

Da gibt es auch noch eine andere Geschichte, die ich Euch erzählen will. Das ist die Geschichte der vielfach unbeachteten Geschlechterverteiler.

Stellt Euch vor, die habe ich erst letztens entdeckt. Doch doch, es gibt sie tatsächlich. Sie, die eine in Deutschland durchaus hoheitliche Aufgabe ausüben. Und diese mit größte Zuverlässigkeit ausführen müssen. Es ist eine der total unterschätzend und eine der unbekanntesten Berufsgruppe überhaupt, die der Geschlechterverteiler.

Geschlecht zu verteilen ist ja eigentlich - wie wir aus der Geschichte der Postzustellungsurkunde gelernt haben sollten - ein sehr hoheitlicher Akt. Und wo kämen wir auch hin, wenn wir Geschlecht inflationär von jedem verteilen lassen könnten. Stellt Euch vor, was das für ein Durcheinander gäbe.

Dennoch bin ich neuerdings auch die Existenz von Geschlechterverteilern gestoßen. Das hat mich schon heftig überrascht, dass wir so was jetzt auch in Deutschland haben. Vor allem auch, dass es sich dabei meist um völlig ungelernte Kräfte handelt, die weder ein Diplom oder eine Dissertation zum Thema Gender vorlegen können, noch sind sie irgendwie sonst von einer Behörde ausgebildet oder zertifiziert wurden. Das gibt Anlass zur Aufmerksamkeit. Wo bei mir doch schon mein Geschlecht alleine fünf Gutachten wert war. Anlass zur Sorge allenthalben.

Geschlechterverteiler - das kommt verschärfend hinzu - sind dabei meist auch noch ausländischer Herkunft. Wenn das die CSU nur wüsste. Und sie verdienen gar nicht mal so wenig in ihrem Job. Ihr findet sie meist an Autobahn-Raststätten. Dort treten sie vermehrt auf. Eigentlich machen sie gar nichts besonderes außer: rumzusitzen und Geld verdienen. Hier und da mal einen kleiner, lässiger Wink mit der Hand. Was für ein Job.

Mal geht es nach links und mal geht es nach rechts. Oder umgekehrt. Das ist fast alles. Und für jeden dieser Winks bekommen sie oft ein oder zwei Mark.

Wollt ihr wissen, wo sie sitzen: Man findet sie vor den Toiletten und meistens sitzen sie in weißen Kitteln (eine andere Uniform hat man ihnen noch nicht gegeben) und weisen die Leute mit freundlicher Geste ein:

Bittesssssehr Frauen - bittessssssehr auf Männer gehen.
Das ist deren Job. Mehr nicht, das ist alles. Wahnsinn. Das Verrückte daran:
wirklich alle folgen Ihnen. Als hätten sie die Autorität auch ohne Uniform gepachtet. Unglaublich: ausnahmslos alle. Egal ob Porschefahrer oder Opel Corsa. Egal ob sturz betrunken oder stock nüchtern. Wie selbstverständlich und unhinterfragt folgen die Menschen den Anweisungen der Geschlechterverteiler. Du da lang, Du da lang. Hier Männer, da Frauen. Das ist ein Job. Den möchte ich auch mal haben.

Stellt Euch das vor: Ich gehe über die Reeperbahn und würde Geschlecht verteilen. Du da lang, Du da lang. Und würde jedes Mal eine Mark dafür kassieren. Irre gute Idee. Geschlechterverteilerin zu werden das wäre mein Job.

Auf jeden Fall - da sehe ich da nach diversen Rausschmissen in IT Firmen nun doch eine rosige Zukunft für mich drin. Und mindestens zwei Themen für wissenschaftliche Dissertationen zum Thema Gender. Oder?

8) Reeperbahn


Wo wir gerade beim Thema Reeperbahn sind. Vielleicht einige Richtigstellungen zu meiner Person. Dinge, die ich immer wieder gefragt werde. Und die hier hin passen.
Mein Körper selber produziert keine Hormone mehr. Ich meine außer etwas Östrogen und Testesteron in der Hirnanhangdrüse bin ich absolut trocken. Denn das reicht nicht aus, um Mann oder Frau zu sein. Und eines von beiden wird ja von mir verlangt.

In den letzten Jahren habe ich mich also entschieden, als Hormon Junkie zu leben. Der Stoff - und darin unterscheidet sich meine Geschichte - wird von staatlichen Dealern bezogen und von der Krankenkasse bezahlt. Früher gab es von Schering noch ein Medikament, das Progynom (also "Für das Frauwerden" übersetzt) hieß und in entsprechender Dosis angeboten wurde. Seitdem die hormonelle Bescheidenheit unter Frauen eingekehrt ist, sitzt unsereins auf dem Trockenen. Was zeigt, mit uns hat man einfach nicht gerechnet. Bis heute gibt es kein Medikament, welches für uns zugelassen ist. Wir sind einfach nicht vorgesehen. Zumindest als Überlebende nicht. Das Transsexuellen Gesetzt gibt es schon seit über 20 Jahren. Wir lernen: den Wechsel zu regeln ist wichtiger, als das Überleben zu sichern. Und: als Ausnahme sollen wir die Regel bestätigen. Die der zwei Geschlechterordnung.

Aber - es gab uns immer. Zu allen Zeiten, in allem Gesellschaften. Wir sind keine Erfindung der Neuzeit oder der modernen Chirurgie. Auch wenn man uns das glauben machen will.

Ich begrüße alle, die hormonelle Behandlung für sich nicht ablehnen. Ohne daraus Präferenzen machen zu müssen. Leslie Feinberg vom Vortrag in Köln, war einer der ersten Hormon Junkies. Sein Vortrag im Schwulen und Lesbenzentrum Köln war ausgeschrieben: "nur für Frauen". Ich kenne keinen anderen Mann, der von Lesben so respektiert wird. Und denke, es gibt auch der Lesbenbewegung eine Selbstvergessenheit beim Thema Geschlecht und Gender.

1997 wurde ich ins Bielefelder Frauenzentrum eingeladen. Die Frage, die es zu entscheiden galt, war: ab wann dürfen nicht Bio Frauen eine Veranstaltung besuchen, die nur für Frauen ausgeschrieben ist. Kurzfristig wurde der Veranstaltungsort in ein Bürgerzentrum verlegt, da man nicht sicher sein konnte, wer zu diesem Vortrag kommen würde. Wir tagten nicht in der Fratze.

Berührungsängste, so lernte ich, rühren an eigenen Ängste. Diese blieben meist ungenannt. Mit Geschlecht zu spielen, sei kein Spass mehr, wurde mir bedeutet. Daraufhin erzählte ich Ihnen die Geschichte meiner Liebe zu Frauen.

9) Leibeslieben

Die erste war die beste. Schon Freud sagte: die Identität der Frau wird nicht durch den Mann, den sie begehrt, sondern durch die Frau vermittelt. Und ich bin - bitte erinnert Euch - als eine zu spät gekommenen, asynchrone Frau eben ohne Mutter aufgewachsen. Was Wunder, wenn man lesbisch wird. Oder genauer gesagt, da man ja keine Frau ist, frauenliebend bleibt. Zumindest die ersten Jahre.

Das Problem ist nicht das Geschlecht. Auch nicht der Sex. Das Problem beginnt in den Köpfen und Körpern anderer. Denn Geschlecht wird angesehen. Imputiert - sozusagen. Wenn eine Lesbe mit einer wie mir zusammen ist, gerät sie in Verdacht. Es gibt so etwas wie den alltäglichen Sexismus im Ansehen von Geschlecht. Besonders verbreitet ist er durchaus in lesbischen Kreisen. Keine Gruppe kann so gut diskriminieren, wie die, die selber diskrimiert wird.

Mich erreichte folgender E Mail Kassiber:
Claudia ist jetzt mit Karin zusammen.
Sag mal, mit der ist doch was. Oder ?
Ja, Karin war doch früher mal ein Mann.
Waaas ? Claudia ist eine Verräterin ? Das mag ich nicht glauben.
Doch doch. Ich hab mich auch gefragt, ob die jetzt auf Männer steht.
Nein, Claudia doch nicht. Ich war doch drei Jahre mir ihr zusammen. Das kann ich mir nicht vorstellen ... ähm. Ehrlich nicht. Das ist doch nicht wahr.
Vielleicht will sie sich auch mal wieder besonders wichtig tun. Du weißt doch wie sie ist.
Nun ja, aber ich werde sie erst mal nicht mehr auf meiner Liste haben. Das nehme ich persönlich. Wie kann sie mir das nur antun. Et cetera et cetera

Was auffällig ist und bleibt: Karin bleibt auf einen Anlass reduziert und verschwindet dann ganz. Sie kommt vor und gleichzeitig nicht vor. Das ist die Dialektik des Verschwindens, die mehr sagt als alle anderen offenen Diskriminierungen. Eine Situation, wie wir sie bis heute in vielen lesbischen Kreisen noch finden.

Es gibt uns und uns gibt uns nicht. Wir sind wie die Interimsliebenden: Es gab sie gestern nicht mehr und morgen noch nicht. Ich denke es wird Zeit, diese Verhältnisse grundlegend zu ändern. Wir sind da. Wir sind keine Exemplare. Wir sind keine Opfer unser selbst. Und - wir sind nicht alleine. Niemals.

Ein zweites kommt im Verhältnis zu Frauen erschwerend hinzu. Es gibt eine ähnliche Topographie von Verletzungen. Auch eine geschlechtsangleichende Operation ist eine tiefe körperliche Traumatisierung. Vier Liter Blutverlust sprechen in meinem Fall für sich. Heute wundere ich mich nicht mehr, dass ich mit mehreren missbrauchten Frauen zusammen kam. Es gibt auch ein gegenseitiges, körperliches Erkennen. Aber - es ist kein gleiches. Darin bleibt ein Unterschied.

Damals hätte mich diese Entdeckung fast umgebracht. Heute habe ich auch meine Liebe überlebt. Nun weiß ich nicht mehr, ob ich mich als lesbisch bezeichnen möchte. Manchmal wohl eher als schwul. Aber: Ich bin nicht lesbisch. Ich bin nicht schwul. Oder beides. Und Sprache versagt, wo man sich retten will..

Auf die Frage nach meiner Sexualität antworte ich: Ja ich habe Orgasmen. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, ob sie männlich oder weiblich sind.

Je mehr ich über Geschlecht nachdenke, desto hilfloser werde ich.

Außerdem glaube ich nicht, nur weil eine Fünf Frau in meinem Pass steht, dass ich mich ein Leben lang daran halten muss. Das habe ich nicht unterschrieben und ist zugleich komischerweise das, was mich wirklich mit anderen Frauen positiv verbindet. Geschlecht ist aber kein Schicksal, dem man entkommen muss. Und Frausein schon gar nicht.

10) raumgreifend allegretto

Tatsächlich - es gibt Dinge, die habe ich inzwischen wirklich verlernt.
Anderes nie gekonnt. Ich kann z.B. nicht mehr im Stehen pinkeln. Ob ich das vermisse, habe ich mich nie gefragt. Vielleicht sollte ich es mal tun.

Ich mag Geschichten wie diese: Während der Pause des Konzertes in der Kongresshalle in Zürich mit meinem schwulen Freund Lothar zu diskutieren, in welche Toilette wir gemeinsam gehen sollen. Natürlich entscheiden wir uns für die Herren Toilette, in die wir beherzt eintreten. Wir sagen: Guten Tag die Herren. Lassen sie sich nicht bei Ihren Geschäften stören.

Oder: mit Andreas, meinem Schönheitschirurgen aus Münster Japanisch Essen gehen. Zwischen Sushi und Hauptgang über Brüste zu reden, natürliche gewachsene und gemachte. Seine Neugier befriedigen indem wir kurz verschwinden zu einer ausführlichen Inspektion auf die Toilette, kurz darauf professionell tastende Hände, während die Nachbarin das Tampon wechselt. Später ein kaum spürbares anerkenndes Nicken, während vor uns auf dem heißen Stein der bestellte Fisch zubereitet wird.

Architektonisch betrachtet gibt es tatsächlich ein Gebäude, das ich ausgiebig kennen lernen konnte. Das war das Landeskirchenamt in Düsseldorf. Und dort die Toiletten. Beidseitig. Allein darin wird Kirche mir ein unvergesslicher Ort bleiben.

Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich bei Druck auf die Blase auch gerne öffentlich pinkeln gehe. Mich hin hocke und es laufen lasse - auch ohne Geschlechterverteiler. Was ist damit ausgesagt ?

Ich denke die Geschlechterfrage ist auch eine Frage, wie wir mit Raum umgehen. Seitdem ich selber Raum bin, muss ich ihn nicht mehr nehmen. Das ist ein gravierender und aussprechbarer Unterschied. Raum wird in unser Gesellschaft geschlechtlich dekliniert. Frauen können Raum transportieren. Männer nicht.

Als ich letztens im Herrenanzug auf die Damentoilette ging, sah ich aus den Augenwinkeln, wie die Frau hinter mir wie selbstverständlich in die Herrentoilette ging. Um solche Lach- und Sachgeschichten zu provozieren, bräuchten wir ausgebildete Gender Provokateure.

Das wäre ein ausstehender universitärer Ausbildungsgang. Transsexuelle taugen meist nicht dafür, das sie die bisherige Geschlechterordnung nur bestärken. Allenfalls in ihrer grotesken Übertreibung werden sie zu unfreiwilligen Gender Clowns.

Aber es geht mir nicht um Clowns oder sich wiederholende Opferrollen. Anpassung wird in unserer Gesellschaft nicht belohnt. Das gilt auch für Transsexuelle. Man mag es bloß nicht glauben.

11) Illypilly non troppo

Man kann sich selber auch Geschlecht antun. Geschlecht ist mir weder eine genau definierte Fähigkeit noch eine qualifizierbare Tugend. Niemand kann mir bis heute sagen, wozu Geschlecht gut ist und was es ausmacht. Noch weniger, warum man eines haben muss.

Immer sind wir Täter und Opfer unser selbst. Wer Akzeptanz erwartet, macht sich vom Blick anderer abhängig.

Meine Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Geschlecht ist keine auf die ich mich berufen kann. Meine Existenz ist nicht allgemein vermittelbar. Meine Rekurse dienen der eigenen Verunsicherung. Jenny Holzer sagt dazu:
Confusing myself is a way to stay honest.
Ich bin es daher leid von Erlaubnissen abhängig sein zu sollen, die nach gelungenen Anpassungen ausgesprochen werden. Daher scheitere ich und reise. Mein Scheitern ist ein qualifiziertes. Ich bin es auch leid, glücklich sein zu müssen für die Erlaubnis der Gesellschaft, in meinem eigenen Geschlecht - was immer es sei - beheimatet zu werden. Ich habe mich bei niemandem zu bedanken. Ich muss nicht glücklich sein, damit die Gesellschaft ein gutes Gewissen bei meinem Wechsel hat.

Ich mag zwar Vorher Nachher Bilder, vor allem die in der ADAC Zeitschrift mit den abstehenden Ohren oder den wenigen Haaren. Aber Transsexuelle gehören nicht in ADAC Zeitschriften und die Frage, ob man nun glücklicher ist als vorher verrät ein voyeuristisches Interesse. Wir müssen nicht mit Glück demonstrieren, das die Entscheidung richtig war. Wir haben auch ein Recht darauf, traurig zu sein über erlittene Verluste. Wie die des Arbeitsplatzes oder vieler Freunde ...

Aus meinem biologisch gegebenen oder von anderen vorgegebenen und für mich vorgesehenen Geschlecht bin ich wissend desertiert. Deserteure haben keinen guten Ruf in Deutschland. Das ist eine lange Tradition.

Die Entdeckung und Enthüllung von Geschlecht sind mir keine heuristischen Kategorien. Ich würde auch einem 54 jährigen Vollbart mit Bass neben mir auf Wusch hin problemlos als Frau anerkennen.

12) Oktaven Sprung

Manchmal, wenn ich am Computer sitze, verrutschen meine Finger auf der Tastatur. Unter der Hand wird aus Karin - Jarub. Ich mag diesen Namen. Er klingt jüdisch. Kann sein, ich konvertiere weiter.

Leslie Feinberg, Kate Bornstein, Ricky Ann Wilchins sind jüdische Gender Aktivisten in New York City. Kate traf ich im Chelsea Grill. Sie hat in San Francisco einen ersten Gender Workshop durchgeführt, in welchem Menschen mit dem ungelebten Geschlecht ins sich flirten konnten. Der Bericht darüber war meine erste Entdeckung im Internet. Es wäre Zeit, diese Workshops an deutschen Universitäten anzubieten.

Ricky Ann Wilchens hat 1995 die erste Selbsthilfeorganisation mit dem Namen "Transsexual Menace" in New York gegründet. Die Gründung geschah anlässlich des Todes von Brandon Teena. Über Brandon Teena wurde ein Film gedreht, dessen Premiere ich im Lincoln Theater beiwohnen konnte. Er hat mehr als einen Oscar bekommen. In Deutsch heißt er: Boys don t cry.

Transsexual Menace heisst schlecht übersetzt: Vor Transsexuellen wird gewarnt. Wie der von Rosa von Praunheim gedrehete Film. Brandon Teena ist einer von vielen anderen und alle sind immer noch tot. In Deutschland wissen wir nichts von den Vergessenen Opfern. Auf der Internetseite von Transexual Menace gibt es ein Gedenken der Toten, Namen, die man erinnern kann, Geschichten, die noch nicht erzählt sind. Auch wir haben Prostituierte, der Gender Flüchtlinge in den deutschen Bordells, in den Zimmern der Absteigen. Es braucht keine neuen Filme. Es wäre Zeit, dass wir alle aufwachen.

Leslie vermisse ich sehr. Sein Lachen geht mir nach.

In Deutschland erwartet die Gesellschaft, dass wir nach erfolgreich durchgeführter Operation auch verdammt noch mal glücklich sein müssen. Wenn uns schon erlaubt wurde, was anderen verboten bleibt. Aber wer sagt das eigentlich. Aber ich denke, wir taugen nicht als Ausnahmen zur Bestätigung der binären Geschlechterordnung. Wer uns darunter subsumieren will, missachtet die Würde unserer Entscheidung.

Die Würde unserer Entscheidung besteht darin, uns nicht anders entschieden zu haben.

Ich gehöre zu den Menschen, die von fünf anderen betrachtet in differierenden Zuordnungen sich wieder finden. Darüber bin ich nicht traurig. Im Gegenteil

13) Sub utraque specie

Ja - ich bin noch ordinierte Pastorin der evangelischen Kirche im Rheinland, auch wenn sie mich als solche nicht mehr beschäftigt. Mein letzter Gottesdienst war in Berlin Kreuzberg anlässlich des internationalen Huren Kongresses 2000. Die Huren wollten wie vor 25 Jahren zuvor in Paris eine Kirche für sich besetzen.
Den Raum sich nehmen, um da zu sein. Der Ev Pfarrer der Imanuelskirche in Berlin Kreuzberg verweigerte ihnen den Kirchenraum aus Angst, sie würden dort einen rituellen Tanz um eine mitgeführte große Pappvagina machen.

Wir kamen trotzdem in die Kirche und ich bat die Frauen, zur Vergewisserung, dass alles mit rechten Dingen zugeht, mir doch zu versichern, ob sie alle ihr Vaginchen mitgebracht hatten. Keine verneinte.

Ich denke, alle Menschen sollten auf das Vorhandensein von Geschlecht durchsucht werden. Oder niemand.

Wie man sich das vorstellen könnten: Nun ich bin sehr für einen Gender Checkpoint Charly in Berlin. Für fahrbare Geschlechterkabinen zur eindeutigen Zuordnung der zur Verfügung stehenden fünf Geschlechter. Diese könnte man dann frei wechseln.

Man könnte auch Geschlecht alltäglich herstellen lassen. Dazu wären Heim- und Werkstätten zu Herstellung von Geschlecht zu gründen. Geschlecht machen - Doing Gender - ist eine handwerkliche Tradition, die wir alle Tag für Tag ausüben und die nicht zu verachten ist. Sie kann nach Absprache auch in Heimarbeit vergeben werden. So könnte man auch Arbeitslosigkeit bekämpfen.

Auf den neuen Euro Scheinen könnte stehen: Wer Geschlecht nachmacht oder verfälscht oder nachgemachtes oder verfälschtes sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

Was erstaunlich ist, ist die vermeindliche Normalität in der sich transgender Menschen bewegen. Denn solange wir Geschlecht als gegeben betrachten, verfügen wir weder über eine angemessene Sprache noch über ein echtes Interesse.

Echtes Inter-esse heist Dazwischen sein und setzt eine Unschärfe Relation in das System der binären Geschlechterzuordnung. Das Transsexuellen Gesetz suggeriert dagegen, es gäbe zwei Geschlechter und man könnte mittels operativer Techniken zwischen ihnen wechseln. In seiner Praxis aber zielt es darauf, möglichst schnell Frieden einkehren zu lassen, die Beunruhigung im Keime zu ersticken.

Mich interessiert dagegen der Zwischenraum. Dieser Ort ist keine Heimat, sondern ein Dazwischen sein, echtes Inter-esse. Dieser Ort lädt ein zum Verweilen, weil der davon lebt, dass er bewohnt ist. Dass jemand da ist.

Ich danke für Eure Aufmerksamkeit
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