Es liegt ein Leben hinter mir, es liegt ein Leben vor mir.

Kann man zwei Leben in eines tun, ohne zu zerbrechen? Kann man als Mann geboren als Frau das Leben beenden? Asynchron werden, statt zeitgleich und angepasst? Kann man all die vielen kleinen Diskriminierungen überleben, die Verluste und stillen Abschiede?

Ich meine ja. Wenn man gut mit sich selber umgeht. Achtsam auch mit anderen bleibt.

Was mich heute interessiert sind Resonanzen und Schriften.
Auf Haut geschriebene Erfahrung. Und die Art ihrer Einverleibung. Verortungen von Menschen. Das alles ist mir mehr als Wissen in Tüten verpackt, welches man mit genügend Kleingeld an jeder Universität einkaufen kann.

Verbindungen entstehen über Grenzen hinweg. Und eine neue Gemeinde wächst, wo man mich wirklich braucht. Meine Reisen nach New York und San Francisco haben mich mit Menschen zusammengeführt, die mich beeindruckten. Ihnen, - den Venusboyz, Kate Bornstein, Leslie Feinberg und Susan Stryker - habe ich zu danken.

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Manchmal trifft man Menschen wie in jedem guten Märchen Trifft sie zur rechten Zeit. Das geschieht nicht immer und manchmal auch gar nicht. Jede wahrhaftige Begegnung ist ein Geschenk, welches bewahrheitet sein will, Tag für Tag.

Anders ist es, wenn man auf einmal zum Problemfall erklärt wird. Die Kirche weg schaut, absieht von Beschäftigung,- nur warte, was wird. Persona non grata. Begrüßt wurde ich nicht. Über sieben Jahre war ich die erste transsexuelle Pastorin in Deutschland. Als solche wurde ich ordiniert von der Kirche. Aber niemand hat mich nach meinen Erfahrungen gefragt. Keiner hat mich besucht.

"Kommen Sie wieder, wenn Sie gesund sind!" sagten sie. Und auch: "Wir wollen Ihnen damit nur helfen, die schwierigen Prozesse durchzustehen." Mein Erschrecken damals: im Moment höchster Verantwortung erfolgte zugleich die kirchlich institutionelle Entmündigung. Man wurde als Exotin dekliniert. Degradiert zum Opfer seiner selbst. Unrein.

Was Wunder, dass nach sieben Jahre Kampf um meine Ordination der Predigttext die "Heilung eines Aussätzigen" war. Studienkollegen waren dort schön längst beamtlich bestallt. Noch heute weiß die Kirche nichts von mir, wenn man sie fragt. Und auch wenn die den damaligen Prozess auf Beschäftigung verloren hat, tatsächlich beschäftigt wurde ich nie wieder bei ihr.

Was man getan hat ist heute noch Strategie: entsorgen, zwischen lagern und in Vergessenheit geraten lassen. Unsichtbar Machen und Verschweigen zeugt von Scham. Aber es gibt keinen Grund dafür, sich meiner zu schämen.

Es sei denn, man kommt mit sich selber nicht klar.


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Es gab andere, die mich begleitet haben. Menschen, die ich damals nicht erwartet habe, die gaben ohne zu fragen. Die einfach da waren. Und mir ihre Geschichte erzählten. Sharing History. Wer wirklich teilt, erlebt eine gute Bereicherung. Und daher freue ich mich heute noch über jeden Menschen, der meinen Weg kreuzt. Man mag lachen und sich aufeinander freuen - schon jetzt.

Es gibt viele unerzählte Geschichten. Weit mehr als die, die wir kennen. Und die Geschichten, die wir kennen, taugen meist nicht. Exotin, Outlaw und Halbwelten. Andere Geschichten wurden nicht geschrieben. Heute noch finden wir ab und an späte Bruchstücke. Und Fragmente von Leben. Nicht alle haben überlebt.


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